Gretchen Wohlwill (1878-1962)
- Kunstmalerin, Mitbegründerin der Hamburgischen Sezession
- ab 1910 Kunsterzieherin an der Emilie-Wüstenfeld-Schule
- malte 1931 zwei Wandbilder als Auftragswerke im Treppenhaus des Hauptgebäudes der Schule
- 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus dem Schuldienst entlassen,
- aus Anlass des 60. Jahrestags von Wohlwills Entlassung und auf Initiative ihrer Verwandten, insbesondere ihres Großneffen Matthias Brandis, wurden Wohlwills Wandgemälde 1993 restauriert
- im Rahmen des 125-jährigen Schuljubiläums hat sich der Theaterprofilkurs des 11P6 der Wandbilder künstlerisch-performativ angenähert und mit seinem Projekt “Gretchen. Bilder der Erinnerung” den BERTINI-Preis gewonnen
Über Gretchen Wohlwill (1878-1962)
(Gastbeitrag von Matthias Brandis, Großneffe von Gretchen Wohlwill und Autor des Buches „Meines Großvaters Geige“ über die Schicksale der Hamburger jüdischen Familien Dehn und Wohlwill)
Gretchen Wohlwill wuchs in einem liberalen, angesehenen jüdischen Elternhaus mit vier Geschwistern auf. Sie gehörte keiner Religionsgemeinschaft an. Sie war die Tochter des Chemikers und Historikers Emil Wohlwill (1835-1912) und ihrer Mutter Louise Nathan (1847-1919). Nach Abschluss ihrer Schulbildung besuchte sie ab 1894 die Kunstschule Valeska Röver. Ihre Lehrer waren Ernst Eitner und Arthur Illies. 1904, 1905 und 1909 studierte sie bei Henri Matisse in Paris. Die Kunsthistorikerin Dr. Maike Bruhns hat in zahlreichen Publikationen über ihr künstlerisches Werk geschrieben. 1919 war Gretchen Wohlwill Mitgründerin der Hamburger Künstlervereinigung Sezession, zusammen mit Anita Rée und Alma Del Banco. Später führte sie den jungen Maler Eduard Bargheer in die Künstlervereinigung ein, mit dem sie fortan eine lebenslange Freundschaft behielt.
Mit 33 Jahren – im Jahre 1910 – wurde sie als Kunsterzieherin in die Emilie-Wüstenfeld-Schule eingestellt, eine feste Stellung, die sie 1933 verlassen musste. Anfang der Dreißigerjahre hat sie in dieser Schule Wandgemälde gemalt, die nach Übernahme des nationalsozialistischen Regimes übermalt wurden. Anfang der 1990er Jahren entschloss sich die Stadt Hamburg dazu, durch eine aufwändige Restaurationsarbeit die ursprünglichen Gemälde von Gretchen Wohlwill wiederherzustellen.
Gretchen Wohlwill gehörte zu den bedeutenden Malerinnen in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, war eng befreundet mit Willem Grimm, Karl Kluth und Eduard Bargheer und reihte sich ein in Künstlernamen wie Friedrich Ahlers-Hestermann, Anita Rée und Alma del Banco. 1933 erhielt sie Berufsverbot, hatte Gelegenheit, sich in Finkenwerder in eine kleine Kate zurückzuziehen und dort privat zu malen und zum Teil durch Zeichenunterricht den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Einschränkungen nahmen immer weiter zu. Die kleine Kate in Finkenwerder lag in der Nähe des Häuschens von Eduard Bargheer. Als ihre Schwester Sophie aus ihrer Wohnung zwangsweise vertrieben wurde, zog sie mit ihr zusammen. Das beengte ihre Verhältnisse zunehmend. Als sie erkannte, dass ihr Leben gefährdet war, betrieb sie alle Anstrengungen, das Land zu verlassen, und hatte durch ihren mittlerweile in Portugal lebenden Bruder Fritz Wohlwill und ihre Schwägerin Emma die Möglichkeit, ebenfalls dorthin zu fliehen. Die Bedingungen ihrer noch legalen Ausreise waren wie für alle, die es schafften, mehr als demütigend. Nach Vorlage aller Besitztümer, die bis in das kleinste Detail aufgelistet werden mussten, wurden diese durch die Finanzbehörde bewertet und zunächst durch eine „Judensteuer“ und später durch eine sog. „Reichsfluchtsteuer“ belegt (jeweils 25%). Bei der Auflistung ihrer Besitztümer wurden auch ihre Bilder einer Bewertung unterzogen. In den Unterlagen im Staatsarchiv findet man die Bemerkung: „da von einer Jüdin gemalt, wertlos“.
Aus Briefen ihres Bruders Heinrich an seinen Sohn Max nach Australien schildert dieser, wie Gretchen zögerte und sich sehr schwer mit der Entscheidung tat, die Möglichkeit der Flucht zu nutzen. Die Zustände und Behinderungen für Menschen jüdischer Abstammung wurden aber so demütigend und gefährlich, dass sie schließlich nach Portugal floh. Sie versuchte noch intensiv, ihre Schwester Sophie zur Flucht zu überreden, doch diese blieb in Hamburg, um Freunde und ihren Bruder nicht zu verlassen. Sophie, wie auch ich Bruder Heinrich wurden in Theresienstadt ermordet. Gretchen schrieb nach dem Krieg eine berührende Trauerrede für Sophie, die an ihrem Grab nicht gehalten werden konnte.
Für Gretchen Wohlwill war das Leben in Portugal nicht einfach. Sie ernährte sich von Malstunden und Deutschunterricht. Sie war dort als Künstlerin sehr produktiv, die zahlreichen Aquarelle, Ölbilder und Zeichnungen zeugen von der beeindruckenden portugiesischen Landschaft, dem mediterranen Licht und den verschiedenen Objekten mit alten Felsformationen und Mühlen an der Küste in der Nähe von Porto. Erst nach 1945 bekam sie eine gewisse Anerkennung auch als Künstlerin.
So zögerlich und ängstlich, wie sie sich schließlich zur Flucht aus Deutschland entschlossen hatte, so besorgt war sie, doch nach Deutschland, das Land, das ihr so viele Demütigungen zugemutet hatte, schließlich 1953 nach Hamburg zurückzukehren.
Dort konnte sie durch Vermittlung des Kultursenats eine Wohnung im obersten Geschoss eines Grindelhochhauses in der Brahmsallee beziehen. Dort richtete sie sich ein Atelier ein, in dem sie sehr viel gemalt hat. So konnte sie auf zahlreichen Ausstellungen ihre neuen und alten Werke zeigen und dabei den Kontakt zu ehemaligen Künstlerfreunden wieder aufgreifen. Sie liebte es, Gastgeber zu sein, für Freunde und Familie. Sie kochte selbst so gut, dass die Gäste auch sehr gerne zu ihr kamen. Sie hat viele kleine Feste gefeiert, wie z.B. zu ihren Geburtstagen und auch anlässlich des Besuches ihres Bruders Friedrich, der mittlerweile in den USA lebte. Sie selbst verstarb 1962.
Möge diese Erinnerung an die wiederhergestellten Wandbilder in der Emilie-Wüstenfeld Schule und die Ehrung des BERTINI-Preises für die Schulklasse auch dazu beitragen, dass der Name Gretchen Wohlwill als Persönlichkeit und Künstlerin wieder mehr in der Öffentlichkeit bekannt wird.